Neo Rauch im Schützengraben der Geschichte

Denken wir an Neo Rauch, so erinnern sich Kenner:innen der Kunst- und Kulturszene an das Werk Der Anbräuner, das der Leipziger Künstler als Reaktion auf einen Artikel des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich fertigte. Es ist ein gemalter Leserbrief, der die Zeit-Redaktion im Sommer 2019 in Aufruhr versetzte und weit über den eigentlichen Inhalt des Artikels hinausreichte. Nun geht es nicht mehr nur um eine politische Rechtsverschiebung innerhalb der Kunstwelt, die Ullrich durch Zitate Rauchs zu belegen versuchte, sondern um einen neuen, alten Ost-West-Konflikt. Eine mögliche rechte Orientierung im politischen Diskurs untermauert der Künstler durch seine Aussagen in Interviews (wie etwa in der Zeit im Herbst 2017) immer wieder selbst.[1]

Rauch spricht beispielsweise offen über seine Kritik bezüglich der liberalen Migrationspolitik und offener Grenzen, die ihn um den Schlaf brächten und den angeblichen Umstand, dass man in der heutigen Zeit gar nichts mehr sagen dürfe.[2] Eine recht eigenwillige Einschätzung des in der DDR sozialisierten Künstlers, der 2019 in der Dokumentation In den Gräben der GeschichteDer Schriftsteller Ernst Jünger neben Helmut Kiesel, Heimo Schwilk, Volker Weiß und Iris Radisch ebenfalls zu Wort kommen durfte. Die vom Sender Arte gezeigte Dokumentation lässt sich nicht mehr über die Mediathek abrufen, sondern ist nur noch über den Reupload von kleineren Youtube-Kanälen zu finden. Produzent der Dokumentation ist der Filmemacher Falko Korth, der auf der Webseite seiner Firma KR.Film GbR ein breites Spektrum seiner Arbeit präsentiert, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Unter der Rubrik „Portraits“ ist auch die entsprechende Dokumentation über Ernst Jünger zu finden. Im Informationstext, dessen Autorschaft nicht benannt ist, beschreiben die Filmemacher:innen, dass die Dokumentation nicht nur biografische Stationen des Schriftstellers aufgreife, sondern das Wirken Jüngers bis in unsere Zeit reflektieren solle, beispielsweise in der Gegenwartskunst.[3] Einen Schwerpunkt in der Dokumentation nehmen der Biograf Jüngers, der Germanist Helmut Kiesel und der Journalist Heimo Schwilk ein. Sie bilden den konservativen Gegenpart gegenüber dem Historiker Volker Weiß und der Literaturkritikerin Iris Radisch. Kiesel aufgrund seines Gastbeitrages auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung, indem er den Stellenwert Jüngers in den Kreisen der Neuen Rechten zu relativieren versucht und Schwilk, als Mitherausgeber des Sammelbandes Die Selbstbewusste Nation (1994) aufgrund seiner Kontakte zu AfD-nahen Kreisen.[4] Welchen Stellenwert Jünger im Leben Rauchs einnimmt, wird den Zuschauer:innen schon zu Beginn eindeutig vorgeführt. So sagt der Künstler bezüglich Jünger folgendes: „Der Ideologe kann ihn nur ablehnen, weil er ihn nicht versteht oder weil er ihn missversteht.“[5] Die Aussage unterstellt Jüngers Kritiker:innen unmissverständlich eine fehlende Lesekompetenz und erstickt somit eine fundierte Auseinandersetzung mit seinen Schriften und mit der Jünger-Rezeption Rauchs. Der Begriff des Ideologen ist kritisch zu lesen, weil er diffamiert. Die vom Künstler heraufbeschworene Frontstellung verdeckt die Fragestellung, welche von Jüngers Werken Rauch gelesen hat und wie weit sich die Interpretation des Künstlers von der demokratischen Mitte entfernte. Seit dem Untergang der DDR widmet sich Rauch in aller Tiefe dem Autor.

„Er [Ernst Jünger I.B.] hat unmittelbar stilwirkend, stilbildend in meiner Malerei hineingewirkt. Seine Art, aus dem Kristall heraus auf die Welt zu schauen, hat eine ganze Flut von Bildern erzeugt. In den frühen 90er Jahren habe ich mich einfach durch den Klang seiner Sprache durch bestimmte Begriffe zu Bildern aufgeschwungen. Das heißt, die Bilder kamen einfach zu mir. Sie kamen über die Lektüre Jüngers geradezu als Selbstläufer auf meine Leinwände.“[6]

Rauchs Aussage, die er den Zuschauer:innen gefühllos entgegenbringt, erzwingt geradezu einen inhaltlichen Vergleich mit dem Publizisten Götz Kubitschek. Dieser ist selbst ein bekennender Jünger-Fan und würdigte den Schriftsteller zu dessen 125. Geburtstag. Jünger sei der prägendste Autor ihrer Denkrichtung und über die Lektüre seiner Schriften würden viele Menschen ihren Weg in das Lager der Neuen Rechten finden.[7] Beide Männer scheinen sich in Bezug auf Jünger als Geistesverwandte zu verstehen. Helmuth Kiesel analysiert in seinem Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung die Parallelen des neurechten Vordenkers Kubitschek mit Jünger und attestiert dem Publizisten ein geistiges Erbe, das durch die Ideale Jüngers getragen werde, der auf eine grundlegend positive Wendung der Geschichte gehofft habe und geprägt gewesen sei durch denselben melancholischen Blick auf den geschichtlichen Verfall mit ihren noch trüben Aussichten.[8] Zwar verbindet beide Männer – Rauch und Kubitschek – die Nähe zum Schriftsteller Jünger, doch vermeidet Rauch direkte Bezüge auf das in Schnellroda ansässige Institut für Staatspolitik, dessen prominente Vertreter:innen eine geschichtsrevisionistische Wende einfordern. Sie brächten ihm unmissverständlich das Stigma eines neurechten Künstlers ein, das sich so schnell nicht wieder abschütteln ließe. Indirekte Bezüge vermeidet Rauch keineswegs, wie beispielsweise seine gedankliche Nähe zum Philosophen Frank Lisson. Diese Verbindungen zieht er unmissverständlich in einem Interview mit der Zeit.[9] Lisson veröffentlicht seine Werke primär in Kubitscheks Verlag Antaios und fordert in einem seiner Texte Künstler:innen direkt dazu auf, eine oppositionelle Position einzunehmen, da sie sich so gegen jegliche Form der Zähmung auflehnen sowie autonom sein könnten.[10] Auch Rauch versteht seine Kunst als Opposition.[11] Die persönliche Auseinandersetzung mit Jünger lässt ihn nachträglich staunen. Für sich selbst beschreibt er, dass ohne die Lektüre Jüngers seine Kunst heute an einem anderen Punkt stände. Jünger habe ihm Türen geöffnet, die ihm sonst verschlossen geblieben wären.[12] In Rauchs Auffassung wird die polarisierende Figur Jünger zum Leitmotiv, zum Ideengeber seiner Kunst. Jedoch reflektiert Rauch diese Nähe zu Jünger nicht in ihrer politischen Gänze und lässt offen, ob die Lektüre von Jüngers Werken auch eine persönliche Veränderung bei ihm erzielte. Daher überrascht es nicht, dass sich Rauch bei der Diffamierung des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich am sprachlichen Repertoire Jüngers bedient. Ullrich erklärt selbst, dass der Begriff „[A]nbräuner“ aus der Dankesrede Jüngers für den 1982 verliehenen Goethepreis stamme. In seiner Rede bezieht sich Jünger auf Personen, die andere Menschen für ihre Taten während der NS-Zeit anschwärzen, also diskreditieren würden.[13] Somit nimmt Rauch im Disput mit Ullrich eine konfrontative Haltung ein und argumentiert mit Bezugnahme auf Jünger, der aufgrund seiner Nähe zum Nationalsozialismus ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt war, gegen die ihm unliebsame Stigmatisierung als neurechter Künstler. Die Nutzung Jüngers als rhetorisches Mittel wirft ein weiteres Schlaglicht auf Rauchs Radikalisierung. Heillichtung, sein 2014 entstandenes Gemälde, bezieht sich eindeutig auf das 1939 veröffentlichte Werk Auf den Marmorklippen und muss als Hommage an Jünger verstanden werden.[14] Fraglich ist, ob dieser das als Anklageschrift gegen die Nationalsozialist:innen veröffentlichte Werk ebenfalls als Angriff gegen die damalige Bundesregierung nutzte.

Doch wie muss der Beitrag Rauchs in der Dokumentation bewertet werden? Sein Auftritt beweist, dass er nicht einfach nur ein missverstandener Künstler ist, der zu Unrecht in eine politische Ecke gedrängt wird. Unter dem Deckmantel der Kunst betreibt Rauch Metapolitik, die weitaus gefährlicher ist als die Aussagen eines Interviews. Mit mehrdeutigen Titeln wie Warten auf die Barbaren (2007) oder Vaters Acker (2016) vermarktet Rauch seine Werke auf den ersten Blick als geheimnisvoll und lässt Betrachter:innen mit ungeklärten Fragen zurück. Wer sind die angeblichen Barbaren und warum ist der Acker des Vaters so zentral? Die Titel werden in den gewünschten Kreisen spätestens seit der Veröffentlichung des Anbräuners ihre volle Wirkung erzielen, da sie sich einer Sprache bedienen, die Bilder von Angst und Bedrohung erzeugt. Eine Lehre, die er aus der Lektüre Jüngers zieht, ist die Metapolitik, die er schamlos anwendet. Kiesel beschreibt Metapolitik als den Bereich der kulturellen oder ideologischen Stellungen, die den politischen Haltungen und Entscheidungen der Menschen vorgelagert seien und diese letztlich bestimmen würden.[15] Der Soziologe Felix Schilk deutet das diffuse Konzept der Metapolitik, das durch neurechte Figuren wie Martin Sellner propagiert wird, 2024 im Deutschlandfunk als eine Beeinflussung des „vorpolitischen Raumes“, indem man die Mehrheit der Bevölkerung durch gezielte Bilder und Begriffe von politischen Vorstellungen überzeuge und diese als gewünscht oder gewollt präsentiere.[16] Rauch bedient diese Metapolitik, indem er seinen Werken die mehrdeutigen Titel verpasst, die als Beeinflussung verstanden werden müssen. Schauen sich Betrachter:innen die Bilder des Künstlers mit deren Titeln an, müssen sie diese als Verarbeitung tagespolitischer Geschehnisse verstehen. Somit erschließt Rauch mit seiner Kunst jenen vorpolitischen Raum, den die AfD im Kampf um die Deutungshoheit zu besetzten versucht. Rauch ermöglicht den Neuen Rechten durch seine Werke den Zutritt zu einem neuen Wähler:innenkreis, da Kunstliebhaber:innen unabhängig von ihren politischen Haltungen mit Rauchs Botschaften konfrontiert werden. Aufmerksame Ausstellungsbesucher:innen, die von Hetze gegen Migrant:innen auf AfD-Wahlplakaten abgeschreckt werden oder diese ignorieren, lesen mehrdeutige Titeln wie Warten auf die Barbaren, ohne das auf den ersten Blick als politische Beeinflussung zu verstehen. Daher ist der Auftritt Rauchs in der besprochenen Dokumentation nicht nur ein weiterer Beweis für seine neurechte politische Einstellung, sondern ein Beleg für die aktive Mitgestaltung einer rechtskonservativen Gesellschaft. Rauch betont, dass er nicht auf derselben politischen Seite stehe wie Jünger und dass er wie Jünger versuche, aus der Mitte heraus auf die Menschen zuzugehen.[17] Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass sich seine politische Orientierung seit den 1990er Jahren weiter nach rechts verschoben hat. Er nutzt seine Bilder, um seine politische Meinung zu veröffentlichen und zwar unter der Prämisse der künstlerischen Autonomie. Im Unterschied zu anderen Künstler:innen soll Ullrich zufolge die Autonomie bei Rauch nicht als Dynamik verstanden werden, die die Gesellschaft in eine offene Zukunft führe, sondern als Kraft, die vor fremden, vermeintlich gefährlichen Einflüssen schütze und Neues assimiliere.[18] Rauchs gefährliches Spiel mit Bild und Wort im Zusammenhang seiner Interviewaussagen der letzten Jahre entlarven ihn als aktiven Mitgestalter neurechter Politik. Mit seiner Kunst macht er die politische Haltung der AfD salonfähig und verschiebt die politische Debatte weiter nach rechts.

Durch die Besetzung der Jünger-Dokumentation mit so vielen Positionen aus dem rechtskonservativen Spektrum kann eine kritische Auseinandersetzung mit dem Autor kaum gelingen, da sie seinen politischen Einfluss auf die neurechte Szene gar nicht beleuchtet. Dementsprechend können Personen wie Neo Rauch oder Heimo Schwilk Jünger ohne Korrektiv als Künstler loben und im selben Zuge ihre neurechten Ansichten zur Schau stellen.


[1] Vgl. Martin Machowecz: Arno Rink. Meister der hocherotischen Zone, in: Die Zeit, 2017, Nr. 38, https://www.zeit.de/2017/38/arno-rink-neo-rauch-maler-moralismus/komplettansicht.

[2] Vgl. Wolfgang Ullrich: Feindbild werden. Ein Bericht: Der neue Ost-Westkonflikt, Berlin 2020, S.12.

[3] Vgl. Die Website von Falko Korth. Die Dokumentation ist unter dem Reiter „Portrait“ zu finden, in: https://krfilm.de//portfolio/portraits/, Zugriff am 02.11.2025.

[4] Vgl. den Artikel über Heimo Schwilk, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Heimo_Schwilk, Zugriff am 02.11.2025; Heimo Schwilk, Ulrich Schacht (Hg.): Die selbstbewusste Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Frankfurt am Main, Berlin 1994; sowie Helmut Kiesel: Zur Bedeutung Ernst Jüngers für die Neue Rechte. Eine Recherche, in: Geschichtsbewusst. Das Public-History-Portal der Konrad-Adenauer-Stiftung, 09.01.2025, in: https://www.kas.de/de/web/geschichtsbewusst/essay/-/content/zur-bedeutung-ernst-juengers-fuer-die-neue-rechte, Zugriff am: 02.11.2025.

[5] Vgl. Falko Korth: In den Gräben der Geschichte. Der Schriftsteller Ernst Jünger, Dokumentarfilm, D 2019, 52:45 Min., in: https://www.youtube.com/watch?v=voKfM5KEjYw. Original kann nicht mehr abgerufen werden: https://www.arte.tv/de/videos/082773-000-A/in-den-graeben-der-geschichte/, Zugriff am 11.11.2025, hier: Min. 0:48–0:49.

[6] Vgl. Korth 2019, Min. 15:47–16:39.

[7] Vgl. Edgar Hirschmann: Die Ästhetik Ernst Jüngers und die Neue Rechte, in: H/Soz/Kult 2025, 21.01.2025, in: https://www.hsozkult.de/event/id/event-152639, Zugriff am 11.11.2025.

[8] Vgl. Kiesel 2025.

[9] Vgl. Machowecz 2017.

[10] Vgl. Ullrich 2020, S. 19.

[11] Vgl. Ebd.

[12] Vgl. Korth 2019, Min. 16:39–17:00.

[13] Vgl. Ullrich 2020, S. 42.

[14] Ebd., S. 42.

[15] Vgl. Kiesel 2025.

[16] Vgl. Lars Hendrik Berger: Kampf um die kulturelle Hegemonie. Wie die Neue Rechte sich der Popkultur bedient, in: Deutschlandfunk Kultur, 01.04.2024 , in: https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-rechte-popkultur-kulturelle-hegemonie-100.html, Zugriff am 05.11.2025.

[17] Vgl. Korth 2019, Min. 49:45–50:54.

[18] Vgl. Ullrich 2020, S. 41.