Zu den Kunsthistorikern und Museumsdirektoren, die Mohler als Referenten in die Carl Friedrich von Siemens Stiftung einlud,[1] zählen beispielsweise seine Basler Jugendfreunde Werner und Fritz Schmalenbach: Der eine referierte als Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 1983 über „Das Museum zwischen Stillstand und Fortschritt“,[2] der andere als Leiter der Museen für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck über seine ‚Steckenpferde‘, 1964 über „Jugendstilmalerei“ und 1975 über „Die Malerei der neuen Sachlichkeit“. Ebenfalls zweimal eingeladen waren Günter Busch, langjähriger Direktor der Bremer Kunsthalle, und der Braunschweiger Lehrstuhlinhaber Martin Gosebruch: Busch hielt 1966 und 1980 Vorträge über „Bonnard und die Malerei um 1900“ und Monets Camille, Gosebruch sprach 1967 über die „Kunstgeschichte“ im Allgemeinen und 1985 im Rahmen der Vortragsreihe Wirklichkeit als Tabu, an der sich auch ‚neurechte‘ Wissenschaftler wie Hans-Joachim Arndt und Robert Hepp beteiligten, zum Thema „Alles ist Kunst“. Zur Emanzipation in der Kultur.[3] Hans Sedlmayr hingegen, seit seinem Bestseller Verlust der Mitte (1948) eine Führungsfigur konservativer Kulturkritik, erörterte an drei Abenden im Januar 1973 seine „Idee einer Kunstgeschichte Europas“. Bernhard Rupprecht schließlich, der Kunstgeschichtsprofessuren in Regensburg und Erlangen/Nürnberg innehatte, stellte 1977 die Frage „Wozu erzieht Kunsterziehung?“ in den Raum. In der Folge publizierte er in Mohlers, von Caspar von Schrenck-Notzing herausgegebenen Hauszeitschrift Criticón,[4] beteiligte sich an der Festschrift zum 75. Geburtstag[5] und sprach bei der Beerdigung in München.[6] Mit u.a. Hubert Schrade, Günter Busch, Charles de Tolnay, Carl Nordenfalk, Herbert von Einem, Wolfgang Götz, Stephan Waetzoldt, Max lmdahl, Ewald Rathke, Jörg Traeger oder Erich Hubala folgten weitere renommierte – ausschließlich ältere und männliche – Vertreter der Disziplin[7] der Einladung ins Stiftungshaus im altehrwürdigen Schloss Nymphenburg, das unter Mohler Ägide zu einem zentralen Begegungsraum konservativer bis rechter Intelligenz avancierte. Dass man aber nicht immer einer Meinung war, zeigt das Beispiel Gosebruchs: Mohler hatte 1976 in Criticón zwei Beiträge über die Wandmalerei des ‚Muralismo Mexicano‘ um Diego Rivera, José Clemente Orozco oder David Alfaro Siqueiros als Auftakt einer Artikel-Serie mit dem Titel Antiliberale Kunstlehre veröffentlicht.[8] Als er im Jahr darauf mit einem Text über Puvis de Chavannes nachlegte,[9] meldete Gosebruch an gleicher Stelle in Form eines einseitigen Leserbriefs Bedenken an, in dem er eine differenziertere Sicht anmahnte. Es stehe, hielt er abschließend fest, zu „befrüchten, daß der von Mohler angekündigte Feldzug gegen die Kunstlehre des Liberalismus mit dem Bulldozer geführt werden wird“. Er, Gosebruch, halte sich „lieber an den Mohler des realistischen Sinns für Politik und Macht, an den Streiter gegen Vorurteile und Moden. In diesem Streit wird auch immer auch mich zählen können.“[10] Zur anhaltenden Verstimmung kam es über diese offene Kritik, wie Mohlers Einladung Gosebruchs Jahre später zeigt, offensichtlich nicht.
Dass Mohler die Muralisten und Puvis de Chavannes genau wie Balthus oder Giorgio Morandi zu seinen „Lieblingsmaler[n]“[11] zählte, über die er schon in den 1960er Jahren Artikel für Kindlers Malerei-Lexikon geschrieben hatte,[12] legt bereits nahe, was sich beim Blick auf die gesamte, in einem Zeitraum von knapp sechs Jahrzehnten entstandene Kunstpublizistik[13] bestätigt: Seine Vorlieben sind weit von einer völkisch-reaktionären „Breker-Manie“ entfernt. Mit diesem Kompositum brachte Stefan Ulbrich 1992 in seinem Artikel Es entsteht eine neue Kultur in der ‚neurechten‘ Jungen Freiheit ein Kunstverständnis auf den Punkt, das er als nicht mehr zeitgemäß für eine kulturkämpferische Rechte im ausgehenden 20. Jahrhundert kritisierte. Vielmehr sollte sie „[i]nspiriert u.a. von Antonio Gramsci und Joseph Beuys […] einen erweiterten Kunst- und Kulturbegriff akzeptieren“.[14] Er reagierte damit auf den Artikel Kampf um einen neuen Kulturbegriff, in dem Andreas Molau „die schroffe Abkehr von einer traditionellen Kunstauffassung“ als „Produkt der Umerziehung“[15] deklarierte, die selbstredend zu revidieren sei. Molaus Vorstellung eines dezidiert deutschnationalen und antimodernistischen künstlerischen Traditionalismus bestimmte innerhalb der ‚alten‘ bundesrepublikanischen Rechten die politische Funktionalisierung der Kunst, ihr wurde und wird jedoch auch in der ‚neurechten‘ Publizistik vielfach Raum gegeben. Sie manifestiert sich in zahlreichen kulturkritischen Lamenti über die „Barbarei der Gegenstandslosigkeit“,[16] die „Diktatur des Häßlichen“[17] oder die moderne „Anti-Kunst“[18] im Allgemeinen, die „Unkunst der Morgenthau-Boys“ und das „documenta-Palaver“,[19] die „[m]ultikulturelle Beliebigkeit des Pluralismus in der Kunst“,[20] die „völlige Aushöhlung, Entgrenzung und Pervertierung des klassischen Kunstbegriffes“ oder den „Verfall der Kunst im Form eines zynischen Kultes des Absurden und Brutalen“.[21] ‚Positiv‘ formuliert läuft all das auf ein Plädoyer für die „Wiederkehr des Schönen“[22] und die (Wieder-)„Geburt der Kunst aus dem Mythos“[23] hinaus, auf die Besinnung auf einen „deutsche[n] Stil“[24] und eine „wahre Kunst für ein freies Volk“,[25] auf das Anerkennen der „Bedeutung der Kunst für die nationale Identität“,[26] als „Vermittlerin verlorener und neu zu belebender Ideen von ewiger Gültigkeit“[27] und „Gegengewicht zur hochneurotischen Schieflage in der nationalen Psyche“.[28]
Innerhalb des durch diese Zitate nur schlaglichtartig beleuchteten ‚neurechten‘ Diskurses über die bildende Kunst, der noch nicht systematisch historisch rekonstruiert wurde,[29] positioniert sich Mohler auf idiosynkratische Art und Weise – im Verzicht auf die übliche Deutschtümelei anders auch als etwa der gerade mehrfach zitierte Kunsthistoriker Richard W. Eichler, der innerhalb der ‚Neuen Rechten‘ weithin als „unumstrittener Experte in Kunstfragen“[30] gilt. Demgegenüber erweist sich Mohler auch und vielleicht vor allem in Fragen der Kunst als der „wohl eigenwilligste Rechtsintellektuelle der alten Bundesrepublik“.[31] Wenn er dem von ihm überaus geschätzten „Generalist[en]“ Arnold Gehlen als dem Autor kunstsoziologischer Zeit-Bilder (1960) attestierte, in der bildenden Kunst ein „Prüffeld für seine Ideen“[32] zu sehen, so wird er damit, wenig überraschend, auch eine Selbstcharakterisierung intendiert haben. Im Folgenden soll das einzelner kunstkritischer Texte Mohlers aufgefächert werden.
Fortsetzung folgt
[1] Die folgenden Angaben nach: Fünfundzwanzig Jahre Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Eine Dokumentation. Zusammengestellt von Armin Mohler unter Mitarbeit von Marta Heinisch, München 1985.
[2] Werner Schmalenbach: Das Museum zwischen Stillstand und Fortschritt, München 1983.
[3] Martin Gosebruch: „Alles ist Kunst“. Zur Emanzipation in der Kultur, in: Armin Mohler (Hg.): Wirklichkeit als Tabu. Anmerkungen zur Lage, München 1986, S. 139–157. Darin übt er u. a. Kritik am „Anything goes“ der (post)modernen Kunst, wie es sich mit Malewitsch durchgesetzt habe: „Die Flucht zum schwarzen Quadrat ist nichts anderes als das Versagen vor der Aufgabe der volleren Durchgestaltung eines Bildes im Sinne der Maxime von Einheit-Mannigfaltigkeit. Wer dazu Geste sagt, legt den Schleier der Vagheit über den Tatbestand solchen Versagens.“ (S. 145)
[4] Bernhard Rupprecht: Der Münchner Kunststreit. Wer bestimmt, wie modern die Kunst zu sein hat?, in: Criticón 9, 1978, Nr. 50, S. 302; Ders.: Die Verzweckung der Kunst. Zur Genese der Kunstkritik, in: Criticón 18, 1987, Nr. 100/101, S. 99–101.
[5] Bernhard Rupprecht: Venezianischer Diskurs, in: Ulrich Fröschle, Markus Josef Klein, Michael Paulwitz (Hg.): Der andere Mohler. Lesebuch für einen Selbstdenker. Armin Mohler zum 75. Geburtstag, Limburg an der Lahn 1995, S. 289–302.
[6] „Armin Mohler war den Künsten, der Malerei, sehr verbunden […]. erinnert sich sein Freund, der Kunsthistoriker Bernhard Rupprecht,“ so Frank Philip: „Er hatte noch viele tiefe Gedanken“. Grundlinien der Orientierung: Die konservative Intelligenz erweist Armin Mohler die letzte Ehre, in: Junge Freiheit, 18.7.2003, S. 13.
[7] Als „Mentoren“ der Abende fungierten zudem u. a. Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth, Ludwig Heinrich Heydenreich, Willibald Sauerländer oder Erich Steingräber.
[8] Armin Mohler: Der „Muralismo Mexicano“. Die mexikanische Wandmalerei des 20. Jahrhunderts (Rivera – Orozco – Siqueiros), in: Criticón 7, 1976, Nr. 38, S. 283–287, hier S. 283; vgl. auch die Fortsetzung: Im Land der „institutionalisierten Revolution“. Die mexikanische Wandmalerei des 20. Jahrhunderts als ihr zwiespältiger Spiegel (II), in: Ebd., Nr. 39, S. 31–38.
[9] Armin Mohler: Große Malerei und „Peinture“. Puvis de Chavannes als Schlüsselfigur, in: Criticón 8, 1977, Nr. 42, S. 195–199.
[10] Martin Gosebruch: Impressionismus à rebours?, in: Criticón 8, 1977, Nr. 44, S. 316.
[11] Armin Mohler: Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, S. 333.
[12] Balthus, in: Kindlers Malerei-Lexikon. Bd. 1, Zürich 1964, S. 190-191, sowie über Morandi, Orozco und Puvis de Chavannes (ebd., Bd. 4, 1967, S. 479-481, 630-632 und 827-830), Rivera und Siqueiros (ebd., Bd. 5, 1968, S. 95-98 und 354-456).
[13] Vgl. Karlheinz Weißmann: Bibliographie Armin Mohler, in: Ders., Ellen Kositza, Götz Kubitschek (Hg.): Lauter Dritte Wege. Armin Mohler zum Achtzigsten, Bad Vilbel 2000, S. 39–96; die Bibliografie ist jedoch weder vollständig noch fehlerfrei.
[14] Stefan Ulbrich: Es entsteht eine neue Kultur. Antwort auf Molaus „Kampf um einen neuen Kulturbegriff“ (JF 9/92), in: Junge Freiheit, Oktober 1992, S. 24. Dort heißt es weiter: „Wem also Kultur und Identität gelegen ist, der schafft Möglichkeiten und Räume, in denen sich diese reiben, entzünden, entfalten können. Wer dagegen nur dauernd davon spricht, dass die kulturellen Identität erhaltenwerden müssen, verkennt völlig den dynamischen Charakter der kulturellen Evolution.“ Mohler polemisierte schon 1962 gegen einen ‚klassischen‘ „Gärtner-Konservatismus“, der sich lediglich auf das „Hegen und Pflegen des von selbst Wachsenden“ beschränke (Konservativ 1962, in: Der Monat 14, 1962, Nr. 163, S. 23–29, hier S. 24).
[15] Andreas Molau: Kampf um einen neuen Kulturbegriff, in: Junge Freiheit, September 1992, S. 11. Vgl. die genaue Analyse dieser Debatte von Siegfried Jäger: Die Debatte um den Kulturbegriff in der Jungen Freiheit, in: Helmut Kellershohn (Hg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit, Duisburg 1994, S. 153–180.
[16] Rainer Zimmermann: Fortschritt braucht Tradition. Kunstansichten: Die Barbarei der Gegenstandslosigkeit, in: Junge Freiheit, 6.12.1996, S. 16.
[17] Walter Marinovic: Kunst oder Antikunst. Von der Diktatur des Häßlichen und dem Aufbruch des Schönen, Graz, Stuttgart 2003.
[18] Peter Jona Korn: Kunst und Anti-Kunst. Beuys, München und der „erweiterte Kunstbegriff“, in: Criticón 11, 1980, Nr. 59, S. 139–143.
[19] Heinrich Härtle: Die Kulturschande von Kassel. Was die „documenta“ eigentlich dokumentiert, in: Klüter-Blätter 27, 1977, Nr. 8, S. 5–9, hier S. 7 und 9.
[20] Hans Jürgen Syberberg: Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege, München 1990, S. 46.
[21] Robert Scholz: Kultur oder Chaos. Gegen das Monopol der Kunstscharlatane. In: Klüter-Blätter 29, 1979, Nr. 8, S. 22–29, hier S. 25 und 29.
[22] Richard W. Eichler: Die Wiederkehr des Schönen. Plädoyer für eine Kunst mit Zukunft. Vorwort von Hellmut Diwald, Tübingen 1980.
[23] Richard W. Eichler: Die Geburt der Kunst aus dem Mythos, in: Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt 1990, Nr. 4, S. 20–35.
[24] Richard W. Eichler: Kultur ohne Vornehmheit? Überlegungen zum Einfluss der Kunstwerke auf Leben, Geist und Gemüt, in: Hellmut Diwald (Hg.): Warum so bedrückt? Deutschland hat Zukunft. Festschrift für Richard W. Eichler, Tübingen, Zürich, Paris 1992, S. 175–208, hier S. 197.
[25] Richard W. Eichler: Wahre Kunst für ein freies Volk, Wien 1991.
[26] Karl Freigedank: Zur Bedeutung der Kunst für die nationale Identität. Kulturelle Voraussetzungen zur Wiederherstellung Deutschlands. In: Deutschland in Geschichte und Gegenwart 34, 1986, Nr. 2, S. 37–39.
[27] Frank Lisson: Auf der Suche nach einer Konservativen Ästhetik, in: Junge Freiheit, 19.7.1996, S. 13.
[28] Thorsten Hinz: Kultur, Kunst und nationale Identität, in: Junge Freiheit, 16.12.1994, S. 11.
[29] Hans-Ernst Mittig forderte schon 2001 die kunstwissenschaftliche Untersuchung der „Publikationstätigkeit rechter Intellektueller“ in einschlägigen Periodika wie Criticón und Junge Freiheit: NS-Kunst in milderem Licht. Apologien heute, in: kritische berichte 29, 2001, Nr. 1, S. 5–22, hier S. 16. Die Literaturwissenschaft hingegen hat sein einigen Jahren die ‚Neue Rechte‘ in den Blick genommen, vgl. für einen Überblick Nicolai Busch, Torsten Hoffmann, Kevin Kempke: Neurechte Literatur und Literaturpolitik, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 98, 2024, Nr. 4, S. 467–477, sowie die dort zitierte Literatur sowie die weiteren Beiträge des mit diesem Artikel eingeleiteten Themenhefts.
[30] Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 456; vgl. daran anknüpfend Volker Weiß: Bedeutung und Wandel von ‚Kultur‘ für die extreme Rechte, in: Fabian Virchow, Martin Langebach, Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 441–469, hier S. 453f . Eichler hatte in populären Büchern wie Könner, Künstler, Scharlatane (1960), Der gesteuerte Kunstverfall (1965) oder Viel Gunst für schlechte Kunst(1968) gegen die abstrakte Kunst und das moderne Kunstsystem gewettert und publizierte seit den 1980er Jahren in einschlägig rechtextremen Verlagen und Periodika.
[31] Michael Ploenus: Biographisches Porträt: Armin Mohler, in: Jahrbuch Extremismus und Demokratie 34, 2022, S. 201 (Herv. J. M.).
[32] Armin Mohler: Arnold Gehlen und die Malerei, in: Helmut Klages, Helmut Quaritsch (Hg.): Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens. Vorträge und Diskussionsbeiträge des Sonderseminars 1989 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1994, S. 672.